Predigt bei der Donausegnung in Niederalteich am 13.1.2013

von Heinrich Bedford-Strohm, Sonntag, 13. Januar 2013 um 20:20

HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, der du zeigst deine Hoheit am Himmel! Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge / hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen, dass du vertilgest den Feind und den Rachgierigen. Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht.
HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!

Liebe Gemeinde,

die Worte des Psalms 8 hier in der Klosterkirche in Niederalteich zu hören, ist etwas ganz Besonderes. Denn das Donaugebet in Niederalteich ist in den letzten Jahrzehnten zu einem Ort geworden, wo all das, was in diesem Psalm steckt, vor Gott gebracht wird. Wo es in die Welt hinein zum Sprechen gebracht wird. Wo es in der Welt zum Wirken gebracht wird, so wie das Salz die Erde durchwirkt und dadurch neu macht.

Menschen haben seit vielen Jahren hier für die Bewahrung der Natur gebetet. Sie haben darüber nachgedacht, was es heißt, dass wir Christenmenschen die Natur als Schöpfung Gottes sehen, die uns anvertraut ist. Manchmal sind es ganz wenige gewesen, die sich an der Donau versammelt und das Gebet für die Schöpfung ganz konkret auf die politische Diskussion um den Donauausbau bezogen haben. Von Manchen sind sie dafür belächelt worden. Manchmal haben sie vielleicht selbst das Gefühl gehabt, einen Kampf gegen Windmühlenflügel zu führen und haben mit der Resignation gekämpft. Aber sie haben weitergebetet. Und sie haben damit ein Zeichen gesetzt gegen den scheinbaren Automatismus einer Unterordnung der Belange der Natur unter die ökonomischen Interessen des Menschen.

Noch weiß niemand, wie in der Politik am Ende entschieden wird. Aber wir wissen, dass die vielen Gebete hier an der Donau gewirkt haben. Dass sich Einstellungen verändert haben. Dass wichtige politische Entscheidungsträger hingehört, mit dem Ausbau der Donau gezögert und neu zu denken begonnen haben. Dass der mit keiner finanziellen Zahl messbare Wert der Natur, dass die Würde der Natur neu ins öffentliche Bewusstsein getreten ist. Dass der Keim einer radikalen Umorientierung in den Werten, von denen her unsere Gesellschaft lebt, schon angefangen hat zu wachsen, befördert durch ganz normale Menschen, die beten und auf Gottes Wort zu hören versuchen und es in sich und der Welt, in der sie leben, zum Wirken zu bringen.

Im Psalm 8 steckt die ganze leidenschaftliche Diskussion um den Stellenwert der Ökologie, die wir in der Frage des Donauausbaus erleben und die an so vielen Punkten die Öffentlichkeit beschäftigt. Dürfen wir als Menschen die Natur unseren Zwecken so weit wie möglich dienstbar machen, weil Gott dem Menschen eben eine zentrale Stellung in seiner Schöpfung gegeben hat? Ist der Mensch die Krone der Schöpfung? Sagt Psalm 8 genau das über den Menschen? „Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht.“

Oder ist es genau umgekehrt? Begründet das Verständnis des Menschen als Geschöpf Gottes gerade nicht eine hervorgehobene Stellung gegenüber der Natur. Heißt es, dass der Mensch sich als in das Beziehungsnetz der Schöpfung eingefügt verstehen muss und die Natur radikal als Mitgeschöpf zu denken hat und deswegen auch keinerlei Vorrangstellung für sich in Anspruch nehmen darf?

Schon in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts haben manche ökologisch orientierte Denker das Christentum für die immer deutlicher werdende Zerstörung der Natur verantwortlich gemacht. Carl Amery etwa schrieb ein Buch mit dem Titel: „Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums“. „Machet euch die Erde untertan“ – dieser Satz aus der biblischen Schöpfungsgeschichte wurde zum Symbol einer Haltung der Herrschaft gegenüber der Natur, die geradewegs zu ihrer Ausbeutung und zunächst schleichenden und dann immer deutlicher offenbar werdenden Zerstörung führte.

Krasser konnte man die Worte der Bibel nicht missverstehen! Sie sind missverstanden worden von den Kritikern des Christentums. Aber sie sind natürlich auch missverstanden worden von all denen, die seit der Neuzeit diese biblischen Worte tatsächlich als Legitimation zur Ausbeutung der Natur missbraucht haben. Denn in Wirklichkeit geht es eben gerade nicht um den Herrschaftsanspruch des Menschen. Man muss nur die Worte unseres Psalms 8 in seine Seele einsickern lassen, um das zu verstehen. Nicht der Mensch wird verehrt und gepriesen, sondern Gott und sein Schöpfungswerk!

„HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, der du zeigst deine Hoheit am Himmel! … Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“  Es ist das Staunen über das wunderbare Schöpfungswerk Gottes, das diese Worte zum Ausdruck bringen und das Lob dessen, der das alles so wunderbar gemacht hat. Ja, klein müsste sich der Mensch fühlen angesichts solcher Herrlichkeit, in der der Mensch nur ein kleines Element ist.

Aber der Mensch, das ist das Faszinierende dieser Worte, ist nicht klein, sondern groß. „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“ Der Mensch ist nicht klein, sondern groß. Groß an Würde! Groß an Achtung! Groß an Verantwortung! Weil er ganz genau weiß, woher seine Größe kommt. Sie kommt von Gott, seinem Schöpfer, dem Schöpfer des Himmels und der Erden, der seine Schöpfung liebt und dem Menschen den Auftrag gegeben hat, sie zu bebauen und zu bewahren.

Herrschaft heißt im Alten Testament eben gerade nicht Ausbeutung. Der Herrscher im Alten Testament, der König, ist kein Willkürherrscher. Die ihm von Gott gegebene job description heißt: Das Recht der Schwachen schützen und für die Armen einstehen. Herrschaft heißt Fürsorge. Und deswegen heißt Herrschaft des Menschen über die Natur in der Verantwortung vor Gott nichts anderes als Fürsorge gegenüber der Natur, das Bebauen und Bewahren, von dem an anderer Stelle in der Bibel die Rede ist.

„Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht. HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!"

Wie in aller Welt soll einer, der so redet, der so Gott als den Schöpfer lobt, der so die dem Menschen anvertraute Natur preist, eben jene Natur zerstören wollen? Nie und nimmer geht das Lob über die Wunder der Schöpfung, das die  biblischen Texte von vorne bis hinten zum Ausdruck bringen, mit der Vernichtung der Natur zusammen! Das Glück des Menschen liegt nicht in der Bemächtigung der Natur, sondern in der Verantwortung gegenüber der Natur.

Die Konsequenzen für uns heute sind gewaltig. Sie bedeuten nichts weniger als eine Umorientierung der Zivilisation. Eine Umorientierung von der Fixierung auf materiellen Wohlstand hin zu einer Neuentdeckung des Beziehungswohlstandes und des Naturwohlstandes.

Wir wissen alle, wovon die Rede ist. Die meisten Menschen jedenfalls haben diese ganz alltägliche Erfahrung schon gemacht, machen sie vielleicht jeden Sonntag oder gar jeden Tag. Die Erfahrung eines Spaziergangs mit einem lieben Menschen an einem Ort wie etwa der „schönen blauen Donau“ und das Glücksgefühl, dass einem nichts fehlt. In solchen ganz alltäglichen Momenten bekommen wir eine Ahnung von dem, was die neue Zivilisation ausmacht: Dankbarkeit gegenüber dem Reichtum, den Gott uns jeden Tag schenkt, einem Reichtum, der eben nicht an ein bestimmtes materielles Konsumniveau gebunden ist, sondern von der Entdeckung, ja vielleicht Neu-Entdeckung des Mitmenschen und der außermenschlichen Natur lebt.

Deswegen ist die heiß diskutierte Frage des Donauausbaus zwischen Deggendorf und Vilshofen eine Frage, die weit über die Region hinaus von Bedeutung ist. Soll sich – darum geht es – das Maß der Bewahrung der Natur nach den wirtschaftlichen Zielen richten? Oder sollen die wirtschaftlichen Ziele an der Bewahrung der Natur orientieren?

Es ist legitim, dass der Mensch wirtschaftet, dass er sich die Natur zunutze macht, aber eben in den Grenzen, die ein achtsamer Umgang mit der Natur setzt. Im Hinblick auf die Frage, was das konkret für wirtschaftliche Vorhaben bedeutet, wird es nie ohne Abwägung der verschiedenen Güter gehen. Es geht nicht um ein romantisches Bild einer unantastbaren Natur, das der Komplexität und Dilemmahaftigkeit der Wirklichkeit nicht gerecht würde.

Aber wenn wie beim Donauausbau mit Kanal und Staustufe ein relativ geringer zusätzlicher wirtschaftlicher Nutzen einem massiven Eingriff in die Natur gegenüber steht, wenn das Leben eines Flusses massiv beeinträchtigt wird, dann muss die Bewahrung der Natur den Vorrang bekommen. Deswegen ist der sanfte Donauausbau nach Abwägung aller Argumente für mich die bessere Lösung. Es ist nicht nur ethisch angemessener, sondern auch klug, wenn in diesem Fall dem Naturwohlstand der Vorrang gegeben wird gegenüber der Optimierung des wirtschaftlichen Gewinns.

„Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“ Diese wunderbaren Worte meinen uns, liebe Gemeinde! Sie geben uns eine Würde, die durch nichts weggenommen werden kann. Sie ermutigen uns, das zu leben, was wir schon sind: Gottes gute Geschöpfe, die den Raum ausfüllen, den ihnen ihr Schöpfer gegeben hat. Zu staunen angesichts der Schönheit der Natur, in der wir die Spuren Gottes selbst finden. Zu danken, dafür, dass Gott uns diesen Lebensraum anvertraut hat. Zu suchen nach den richtigen Wegen, mit denen wir der Verantwortung gerecht werden, die damit verbunden ist.

Es ist ein Leben in Fülle, das uns der Psalm 8 da vor Augen malt. Das Wasser wird von einer Ansammlung von H2O-Molekülen zur Gabe der Schöpfung, die unser Leben reich macht. Die Natur wird von der Nutzmasse zum Ort, an dem Gottes Geist wohnt. Und wir Menschen werden vom biologischen Zufallsprodukt zu Partnern Gottes, die berufen sind, seine Schöpfung zu bebauen und zu bewahren.

In einer solchen Perspektive leben zu dürfen, das, liebe Gemeinde, ist wahres Glück!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN